Wir stehen kurz vor dem 25. November, dem Internationalen Tag zur Beendigung der Gewalt gegen Frauen. Der Weg zur Beseitigung und Ächtung jeglicher Gewalt gegen Frauen ist lang und erfordert einen Kampf, Widerstand und in vielen Fällen erhebliche Opfer seitens der Frauen und Gleichheitsbefürworter.
Die geschlechtsspezifische Apartheid in Iran ging auch im letzten Jahr mit geschlechtsbezogener Gewalt, dem täglichen Kampf gegen den Schleierzwang, weiteren islamischen frauenfeindlichen Gesetzen, Verhaftungen, Folter, Vergewaltigung und Hinrichtungen einher. Diese Lage verschärft sich durch die zunehmende Feminisierung der Armut und führt zu Konsequenzen wie Kinderehen, Schulabbrüchen, Kinderarbeit und Umweltzerstörung, wobei Frauen die ersten Opfer sind. Laut dem Forschungszentrum des Parlaments haben etwa 900.000 Kinder die Schule abgebrochen, wobei die Mehrheit davon Mädchen und afghanische Kinder sind – Kinder ohne Ausweisdokumente sind in diesen Zahlen nicht erfasst.
Im Zusammenhang mit dem Schleierzwang hat die Islamische Republik mit der Durchsetzung des „Gesetzes für Anstand und Hidschab“, das nach dem Aufstand von Jina durch die Justiz und das Parlament mit geschlechtsspezifischen Trennungsmaßnahmen an Universitäten, Behörden, Parks und Krankenhäusern verabschiedet und vom Wächterrat bestätigt wurde, große Schwierigkeiten – Frauen leisten dagegen heftigen Widerstand. Die tragischen Selbstmorde von Aynaz Karimi und Arzu Khavari, einer 16-jährigen Afghanin, als Protest gegen den Schleierzwang und vorgeschriebene Kleidung und Nagellackverbot, zeigen das Ausmaß geschlechtsbezogener Gewalt und Diskriminierung im geschlechtsspezifisch geprägten Bildungssystem Irans. Auch die Reaktion von Aho Darayi, einer protestierenden Studentin der Universität für Wissenschaft und Forschung, der Freien Universität Teheran, gegen die gewaltsame Durchsetzung des Schleierzwangs zeigt, dass Frauen keine Angst haben, ihren gefangenen Körper zurückzufordern.
Im vergangenen Jahr erreichte die Zahl der Hinrichtungen im Iran 853, was einen Anstieg um 43 % bedeutet und weltweit die höchste Zahl an Hinrichtungen von Frauen darstellt. Die staatliche Gewalt gegen Frauenrechts-, politische und soziale Aktivistinnen hat durch die Schaffung einer „Kriegsgefahr“ mit täglichen Verhaftungen zugenommen. Pakhshan Azizi und Verishe Moradi, zwei kurdische politische Aktivistinnen, sind von Hinrichtung bedroht.
Geschlechtsbezogene Gewalt in Form von Femiziden, Ehrenmorden und tödliche Folgen des Abtreibungsverbots und Kriminalisierung von Verstößen gegen dieses Verbot, haben nicht nur im Iran, sondern weltweit zugenommen. Allein in der Türkei wurden im vergangenen Jahr 403 Frauen und in diesem Jahr 296 Frauen Opfer von Femiziden. Leider gibt es keine genauen Daten für den Iran. Die Zeitung Etemad berichtete, dass im ersten Quartal des Jahres 2024, 35 Femizide verzeichnet wurden, die meisten davon in Teheran – ein erheblicher Anstieg im Vergleich zu den Vorjahren. Im Iran wird Femizid oft mit dem „Ehrenmotiv“ zur Kontrolle über den Körper und das Leben von Frauen verübt, unterstützt von Religion, Staat und dem patriarchalen System, wobei die Täter oft nach islamischem Recht freigesprochen werden. Auch in Deutschland wurden in diesem Jahr 81 Femizide durch männliche Familienmitglieder begangen.
Der Kampf gegen das Abtreibungsverbot und dessen Kriminalisierung ist weltweit weiterhin eine der zentralen Herausforderungen für Frauen. Im Iran, wo Abtreibung kriminalisiert ist, gibt es keine Statistik über die Sterblichkeit von Frauen durch nicht medizinisch indizierte und unsichere Abtreibungen. Laut dem Leiter des Jugendzentrums des Gesundheitsministeriums werden im Iran jährlich mindestens 360.000 Abtreibungen durchgeführt, die meisten davon illegal. Er nannte jedoch keine Daten zu den tödlichen Folgen dieses Verbots für das Leben der Frauen. Im Oktober dieses Jahres begann ein Prozess gegen eine Ärztin in Polen, weil sie bei einer gewollten Abtreibung geholfen hatte – in dem streng katholischen Land droht ihr eine Gefängnisstrafe von bis zu drei Jahren. Auch in einigen Bundesstaaten der USA wird Abtreibung weiterhin verboten und kriminalisiert, was zeigt, dass Frauenrechte weltweit bedroht sind.
UNICEF, die Kinderhilfsorganisation der Vereinten Nationen, erklärte am 8. März dieses Jahres, dass weltweit 230 Millionen Frauen Opfer von Genitalverstümmelung wurden, vor allem in Äthiopien, Somalia und Sudan. Man prognostizierte, dass diese Gewalt bis 2030 beendet werden könnte, wenn die Gegenmaßnahmen 27-fach verstärkt werden – ein angesichts von Armut, Hunger und Krieg unrealistisches Ziel.
Die geschlechtsspezifische Apartheid in Afghanistan hat das Land zu einem Gefängnis für 14 Millionen afghanische Frauen und Mädchen gemacht, die als rein sexuelle Objekte in den eigenen vier Wänden gefangen gehalten werden. Sie dürfen weder arbeiten noch lernen und dürfen das Haus ohne dichte Verschleierung und die Begleitung eines „männlichen Vormunds“ nicht verlassen. Die Taliban kündigten Anfang des Jahres an, die Bestrafung durch Peitschenhiebe und Steinigung in der Öffentlichkeit für Frauen, die des „Ehebruchs“ beschuldigt werden, wieder einzuführen. Am 27. Oktober dieses Jahres wurden in der Provinz Parwan in Afghanistan vier Personen, darunter eine Frau, wegen „Weglaufen von zu Hause“ und „Homosexualität“ ausgepeitscht. Afghanische Flüchtlinge und Staatsangehörige in Iran werden ebenfalls Opfer von staatlicher und nichtstaatlicher Gewalt. Das Massaker an über 250 afghanischen Migranten in der Region Sarawan ist einer der Fälle menschenrechtsverachtende Gewalt, gegen die wir gemeinsam kämpfen müssen.
Frauen sind in Kriegen stets die Hauptopfer, die Vergewaltigung, Zerstörung und Erniedrigung in vollem Maße erleben. Das Hohe Kommissariat der Vereinten Nationen für Menschenrechte und die Frauenrechtsorganisation in Ostafrika haben im vergangenen Monat vor der weit verbreiteten sexuellen Gewalt gegen Frauen in Sudan, im Krieg zwischen den schnellen Unterstützungstruppen und der sudanesischen Armee, gewarnt, die zu über hundert Toten in den letzten Kämpfen und zur Vertreibung von über 14 Millionen Menschen seit Beginn des Krieges geführt hat. Sudanesische Frauen sind sexueller Gewalt, darunter Vergewaltigung, Gruppenvergewaltigung, sexueller Sklaverei und Menschenhandel zu sexuellen Zwecken, ausgesetzt. Berichten zufolge haben sich über hundert sudanesische Frauen in Jazeera kürzlich aus Angst vor Vergewaltigung kollektiv das Leben genommen – eine Nachricht, die in den weltweiten Medien leider kaum Beachtung fand.
Auch ein Jahr nach Beginn des brutalen Völkermordes Israels im Gazastreifen nach dem Massaker vom 7. Oktober 2023 hat Israel seine Angriffe auf das Westjordanland, den Libanon, den Jemen und jetzt wieder auf den Norden von Gaza ausgeweitet. Im Gazastreifen sind inzwischen Krankenhäuser und Schulen zerstört, über 42.000 Palästinenser sind tot und 96.000 verletzt, die Mehrheit von ihnen Frauen und Kinder. Über 50.000 schwangere palästinensische Frauen in Gaza sind von Hunger und einem Mangel an medizinischer Versorgung für sich und ihre Kinder betroffen. Die Auswirkungen des Krieges im Nahen Osten auf Frauen sind tiefgreifend und vielfältig, sie verschärfen die bestehenden sozialen und geschlechtsspezifischen Ungleichheiten. Angesichts der gegenwärtigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten sind viele Frauen die einzigen Ernährerinnen ihrer Familien geworden. Berichten internationaler Quellen zufolge sind Frauen im Gazastreifen im Allgemeinen und in israelischen Gefängnissen im Besonderen Gewalt und sexuellem Missbrauch ausgesetzt. Die Vertreibung von über einer Million Palästinenser*innen fügt ihrem Leben, besonders Frauen und Kindern, zusätzlichen Schaden zu. Oben Erwähntes beschreibt nur ein Ausschnitt der verheerenden Auswirkungen des Krieges auf Frauen und Kinder.
Wir können inmitten der Kriege im Nahen Osten nicht gleichgültig gegenüber dem Angriff der Türkei auf Rojava bleiben, der als vermeintliche „Vergeltungsmaßnahme“ durchgeführt wurde, obwohl die demokratischen Kräfte Syriens nicht beteiligt waren. Die türkische Armee tötete durch den Beschuss von Dörfern und Wohngebieten überwiegend Frauen und Kinder. Rojava ist das Ergebnis eines starken und demokratischen Kampfes kurdischer Frauen in Westkurdistan, die in der „Schlacht von Kobane“ die menschenfeindlichen IS-Fundamentalisten besiegten.
Wir, die 21 unabhängigen iranischen Frauenorganisationen in der Diaspora, stehen mit einer feministischen Haltung gegen sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt, gegen Fundamentalismus in jeder Form, Diktatur, Krieg und Militarismus, Kolonialismus und Besatzung, Rassismus und gegen imperialistische Eingriffe an der Seite fortschrittlicher Bewegungen weltweit, insbesondere von Frauenrechtsaktivistinnen und feministischen Kollektiven, die für grundlegende Veränderungen im Nahen Osten eintreten, da wir ein gemeinsames Schicksal und gemeinsames Leid teilen. Uns ist klar, dass das Ende der Gewalt gegen Frauen mit Fundamentalisten, wie in der Islamischen Republik oder jeder Form solcher Herrschaft, nicht möglich ist.
#Frau_Leben_Freiheit 15. November 2024
„Alltäglicher Feminismus“
Bewegung „MeToo Iran“
Forum Iranischer Frauen in Wien
Frauen für Freiheit und nachhaltige Gleichheit
Frauenrechtsorganisation IKWRO
Frauentribunal Hannover
Gruppe „Vereinte Linke Frauen“
„Gruppe der Frauen in Nordkalifornien“
„Gruppe für Frauenstudien in Orange County“
„IWIN“ aus Nordkalifornien
Iranische Frauenaktivistinnen im Exil – Berlin
Iranische Frauenverein „Parto e. V.“
Kollektiv „Frau, Leben, Freiheit“ Rom
Komitee für Geschlechtergleichstellung der Solidarität der iranischen Republikaner
Kreis der iranischen Frauen für weltweite Zusammenarbeit (ICWIN)
Organisation „Frauenbefreiung“
Verein „Frauen in Montreal“
Verein „Freie iranische Frauen“
Verein „Gemeinsam für die Gesundheit der Frauen“
Verein „Iranisch-Deutsche Frauen in Köln“
Verein „Iranische Frauen in Dallas“